„Containern“ - Zwischen Zivilcourage, Umweltbewusstsein und Strafrecht
Lebensmittel aus dem Müll - eine Straftat?
Jede Nacht öffnen sich an Supermarkt-Hinterhöfen die Deckel der Abfallcontainer. Menschen greifen hinein und holen Brot, Joghurt, Gemüse oder andere Lebensmittel heraus - all das, was nicht mehr verkauft, aber durchaus noch gegessen werden kann. „Containern“, auch bekannt als „Dumpster Diving“, ist längst zu einem Symbol des Protestes gegen Lebensmittelverschwendung geworden. Was für manche eine moralisch vertretbare Tat im Sinne der Nachhaltigkeit ist, gilt juristisch jedoch nach wie vor als Diebstahl oder Hausfriedensbruch.
Der nachfolgende Beitrag beleuchtet umfassend die rechtliche Situation rund um das Containern, ordnet aktuelle Entwicklungen ein und zeigt, was Betroffene beachten sollten - sei es aus Überzeugung oder aus finanzieller Not. Besonders interessant ist das Thema auch im Lichte einer möglichen Gesetzesreform und der wachsenden gesellschaftlichen Diskussion über Umweltverantwortung und Armut.
Was bedeutet „Containern“ überhaupt?
Der Begriff „Containern“ beschreibt das Durchsuchen von Abfallcontainern, meist hinter Supermärkten oder Bäckereien, mit dem Ziel, entsorgte Lebensmittel oder andere Waren für den Eigenbedarf zu retten. In der Praxis werden dabei häufig noch genießbare Produkte gefunden, die beispielsweise kurz vor dem Ablaufdatum stehen oder optische Mängel aufweisen.
Weltweit wird die Verschwendung von Lebensmitteln immer mehr zum Problem. In Deutschland landen jährlich rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll - ein Teil davon stammt aus dem Handel. Viele Menschen empfinden es als moralisch geboten, diese Ressourcen zu nutzen. Doch wie sieht das die Rechtslage?
Strafrechtliche Bewertung: Diebstahl und Hausfriedensbruch
Rechtlich betrachtet gehört auch entsorgte Ware weiterhin dem Eigentümer - in diesem Fall meist dem Supermarkt oder dem dahinterstehenden Unternehmen. Das Wegwerfen allein bedeutet nicht automatisch, dass das Eigentum aufgegeben wurde. Daher erfüllt das Entnehmen von Lebensmitteln aus Containern regelmäßig den Tatbestand des Diebstahls gemäß § 242 StGB.
Zusätzlich kommt Hausfriedensbruch nach § 123 StGB in Betracht, wenn das Betreten eines abgeschlossenen Supermarktgeländes erfolgt - etwa, wenn ein umzäunter Bereich überwunden oder ein verschlossener Hof betreten wird.
Beispiel:
Zwei Studentinnen, die 2018 in Bayern beim Containern erwischt wurden, wurden wegen Diebstahls verurteilt. Sie hatten sich Zugang zu einem umfriedeten Gelände verschafft, um dort Lebensmittel aus einem Müllcontainer zu entnehmen. Das Amtsgericht sah den Eigentumsschutz des Supermarkts als verletzt an - das Landgericht bestätigte das Urteil.
Argumente für eine Entkriminalisierung
Zunehmend wird die Forderung laut, das Containern zu entkriminalisieren. Unterstützt wird diese Position von Umweltorganisationen, Kirchen, Sozialverbänden und auch einigen politischen Parteien. Ihre Argumentation:
- Die entnommenen Lebensmittel seien ohnehin zur Vernichtung bestimmt.
- Es entstehe kein Vermögensschaden beim Eigentümer.
- Strafrecht dürfe nur bei echtem Unrecht zum Einsatz kommen.
- Die Praxis sei ein Statement gegen Lebensmittelverschwendung und kein kriminelles Verhalten.
Aktuelle politische und rechtliche Entwicklungen
Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich 2020 mit dem Thema zu befassen (Az. 2 BvR 1986/19). Das Gericht hatte zwei Verfassungsbeschwerden, die sich gegen eine strafgerichtliche Verurteilung wegen Diebstahls von Lebensmitteln aus einem Abfallcontainer eines Supermarktes richteten, nicht zur Entscheidung angenommen und damit aufgezeigt, dass sich ohne eine politisch auf den Weg gebrachte Änderung der Gesetzeslage nichts an der Strafbarkeit des „Containerns“ geändert hat.
Die Bundesregierung prüfte zwischenzeitlich eine gesetzliche Regelung, etwa durch ein gesetzliches Verbot der Entsorgung genießbarer Lebensmittel oder die freigegebene Nutzung von entsorgten Waren, stieß dabei aber auf rechtliche und praktische Hürden. Bis heute ist keine entsprechende Reform verabschiedet worden.
Was droht auf Containern im Ernstfall?
Rechtlich gesehen kann das Containern mit folgenden Sanktionen verbunden sein:
Strafverfahren wegen Diebstahls oder Hausfriedensbruchs
Geldstrafen, im Wiederholungsfall auch Freiheitsstrafen
Ermittlungsverfahren, die Einträge im Führungszeugnis nach sich ziehen können
Bei Minderjährigen oder Ersttätern ist auch eine Einstellung gegen Auflagen (§§ 153, 153a StPO) möglich
Typische Auflagen können sein:
- Zahlung eines Geldbetrags an eine gemeinnützige Organisation
- Ableistung von Sozialstunden
- Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs
Trotz des oft geringen „Werts“ der Ware nimmt die Justiz diese Delikte nicht auf die leichte Schulter. Gerade in strafrechtlicher Hinsicht ist der ideelle Protestgedanke keine Entschuldigung im rechtlichen Sinne.
Zivilrechtliche Aspekte: Eigentum, Besitz und Duldung
Neben dem Strafrecht kann das Containern auch zivilrechtliche Folgen haben. Der Eigentümer eines Müllcontainers oder eines Supermarktgeländes kann gegen das unbefugte Betreten oder Entnehmen von Gegenständen zivilrechtlich vorgehen - etwa durch Unterlassungsklagen oder die Geltendmachung von Schadensersatz bei Beschädigungen.
In Einzelfällen dulden Supermärkte stillschweigend das Containern - etwa, wenn Container frei zugänglich und nicht verschlossen sind. Dies kann jedoch jederzeit widerrufen werden und stellt keine rechtsverbindliche Freigabe dar. Eine rechtskonforme Lösung wäre eine ausdrückliche Freigabe - etwa durch Aushänge oder öffentliche Hinweise.
Nachhaltigkeit vs. Recht: Eine moralische Grauzone?
Der moralische Konflikt zwischen dem bestehenden Strafrecht und dem Nachhaltigkeitsgedanken ist offensichtlich. Für viele ist das Retten von Lebensmitteln ein Akt der Solidarität mit Bedürftigen und ein Protest gegen die Wegwerfgesellschaft. Dennoch steht dem das geltende Recht entgegen - bis heute ungeändert.
Besonders problematisch ist, dass Menschen kriminalisiert werden, die sich oftmals aus Überzeugung und nicht aus Bereicherungsabsicht verhalten. Auch Studierende, Rentner oder Alleinerziehende geraten so ins Visier der Strafverfolgung. Der Ruf nach einer rechtlichen Neubewertung wird lauter - sowohl im Hinblick auf den Eigentumsbegriff als auch auf das Strafmaß
Handlungsempfehlungen für Betroffene und Interessierte
Wer sich mit dem Gedanken trägt, selbst containern zu gehen, oder bereits ein Verfahren am Hals hat, sollte Folgendes beachten:
- Niemals verschlossene Behälter oder umzäunte Grundstücke betreten
- Nur offen zugängliche Container in Betracht ziehen (Achtung: auch hier bleibt rechtlich ein Restrisiko)
- Kontakt zum Supermarkt suchen - eventuell lässt sich eine ausdrückliche Duldung vereinbaren
- Bei rechtlichen Problemen: frühzeitig anwaltlichen Rat einholen
Fazit: Zwischen Recht und Gerechtigkeit
Das Thema „Containern“ wirft schwierige Fragen auf, bei denen Moral, Umweltbewusstsein und Strafrecht aufeinanderprallen. Während sich die Gesellschaft zunehmend für mehr Nachhaltigkeit einsetzt, hinkt das Strafrecht bislang hinterher. Solange keine Gesetzesänderung erfolgt, bleibt das Containern in vielen Fällen eine Straftat - auch wenn es vielen als sinnvoll und notwendig erscheint.
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